Teutloff meets Ars Sacra

  

Mit neun Videoarbeiten der KünstlerInnen Tracey Emin, Simone Häckel, Gary Hill, Micha Klein, Sigalit Landau, Bjørn Melhus, Osvaldo Romberg, Una Szeemann und Peter Weibel ist die international renommierte Sammlung Teutloff zu Gast im Salzburg Museum. Und dies in besonderer Form: So war die Sammlung Teutloff bereit, einen Dialog mit der Ausstellung „Ars Sacra“, die einen Einblick in die mittelalterlichen Kunstschätze des Museums gibt, aufzunehmen.

Das Resultat ist ein Parcours, in dem sich zwei Erzählstränge der Kunstgeschichte und der Gegenwartskunst immer wieder annähern, berühren und insgesamt einen Bogen über Jahrhunderte spannen. Die räumliche und inhaltliche Verschränkung zweier Sammlungskomplexe ist trotz der unterschiedlichen Medien von Malerei und Skulptur einerseits und Video andererseits auch dem Sammlungskonzept von Lutz Teutloff zu verdanken. Durch seine besondere Aufmerksamkeit auf das Bild des menschlichen Körpers und die Reflexion von Darstellungskonventionen berühren viele der von ihm gesammelten Werke Traditionslinien, die sich formal und ikonographisch in die Kunstgeschichte einzuschreiben scheinen.
  
>>> Videolink: Teutloff meets Ars Sacra

  

Kinderportraits, Simone Häckel (*1974), 2007, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 1:40, 1:55, 1:44 min.
Kinderportraits, Simone Häckel (*1974), 2007, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 1:40, 1:55, 1:44 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Kinderportraits

Simone Häckel (*1974), 2007

  

Kinderportraits zeigt drei- bis vierjährige Kinder, die jeweils mit ernstem Blick ein Geschehen links unterhalb der Kamera verfolgen. Sie atmen unregelmäßig. Ihre Aufmerksamkeit wirkt regelrecht gebannt, wie unter Hypnose. Häckel beobachtet die Kinder befreundeter Familien beim Fernsehschauen. Sie zeigt die intensive Anspannung, unter der Kinder beim Medienkonsum stehen – auch schon, wenn wie in der hier dokumentierten Situation nur die „Augsburger Puppenkiste“ geschaut wird.

Simone Häckel hat ihre künstlerischen Beobachtungen ausgehend von der Erfahrung mit ihren eigenen Kindern begonnen und eine ganze Anzahl weiterer Projekte zur Erlebenswelt von Kindern und Jugendlichen entwickelt.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

No Sunshine, Bjørn Melhus (*1966), 1997, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 5:30 min.
No Sunshine, Bjørn Melhus (*1966), 1997, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 5:30 min.Klicken um Bild zu vergrößern

No Sunshine

Bjørn Melhus (*1966), 1997

  

In dem Video, benannt nach dem Bill-Withers-Song „Ain’t No Sunshine When She’s Gone“, verkörpert Melhus, einer der bekanntesten deutschen Videokünstler, vier identisch aussehende Personen. In kurzen Pop-Song-Phrasen scheinen sie im Duett, untereinander oder direkt der Kamera zugewandt zu kommunizieren. ´

Melhus spielt mit Anleihen von Science-Fiction-Filmen, Spielzeug- und Werbefilmästhetik und christlicher Ikonographie. Die computergenerierten Räume, in denen beide Paare sich schwebend aufhalten, scheinen miteinander verbunden zu sein. Wiederholt erobern mit Noppen besetzte Objekte den Bildraum, deren Oberflächen an computergenerierte Darstellungen von Erregern des HIV-Virus erinnern, während ein Partner den anderen zu verlassen scheint.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Sometimes the Dress Is Worth More Money than the Money, Tracey Emin (*1963), 2000, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 4:00 min.
Sometimes the Dress Is Worth More Money than the Money, Tracey Emin (*1963), 2000, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 4:00 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Sometimes the Dress Is Worth More Money Than the Money

Tracey Enim (*1963), 2000

   

Als ein Brauch bei zypriotischen Hochzeiten gilt, dass während des Tanzes Geldscheine an das Brautkleid geheftet werden – je länger der Tanz dauert, desto mehr Geld kommt zusammen. Die Künstlerin spielt eine entflohene oder verstoßene Braut in einer öden Landschaft. Unterlegt sind die Szenen mit der Filmmusik von Ennio Morricone für „Zwei glorreiche Halunken“ (1966).

Emin, Tochter einer englischen Mutter und eines türkisch-zypriotischen Vaters, wurde mit ihren Arbeiten, die sich auf schockierende Weise mit traumatischen sexuellen Erfahrungen als Teenager auseinander setzen, zur prominenten Vertreterin der Young British Art. Der von Becks Awards in Auftrag gegebene Kurzfilm, den sie in der zypriotischen Heimat ihres Vaters realisierte, erregte damals die Aufmerksamkeit des britischen Regisseurs Michael Winterbottom und führte zu ihrem ersten Spielfilm „Top Spot“ (2004).

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Thrill Me, Una Szeemann (*1975), 2004, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 9:00 min.
Thrill Me, Una Szeemann (*1975), 2004, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 9:00 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Thrill Me

Una Szeemann (*1975), 2004

  

„Thrill Me“ ist eine verdichtete Dokumentation der Selbsterschaffung des Popstars Michael Jackson. Im Fokus des Video-Essays steht das inszenierte Auftreten Jacksons im Wandel seiner Karriere und die fortlaufende, chirurgisch unterstützte Manipulation seiner eigenen Physis: Nach und nach löscht er hiermit unter anderem familiär ererbte ethnische Züge und wirkt dabei zunehmend selbstzerstörerisch.

Anhand von Videoclip-Fragmenten und Mitschnitten von Auftritten vermittelt die Schweizer Künstlerin die Verführungskraft einer solchen Utopie der Selbsterschaffung, aber auch die psychischen Abgründe, die sich in der märchenhaften Aufstiegsgeschichte und selbstgeschaffenen Welt Jacksons auftun.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Figuring Grounds, Gary Hill (*1951), 1985/2008, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 7:19 min.
Figuring Grounds, Gary Hill (*1951), 1985/2008, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 7:19 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Figuring Grounds

Gary Hill (*1951), 1985/2008

  

Sprache und elektronische Medien sowie der menschliche Körper sind Medium und zugleich Gegenstand der Arbeiten Gary Hills, eines der Pioniere und bekanntesten Vertreter amerikanischer Videokunst.

Figuring Grounds basiert auf einer gemeinsamen Performance aus dem Jahr 1985 mit seinen langjährigen Weggefährten, den Dichtern George Quasha und Charles Stein, in der Quasha und Stein in einer Art musikalischer Improvisation sprachliche Partikel zu einer Urform menschlicher Kommunikation aneinander fügen.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Venus im Pelz, Peter Weibel (*1944), 2003, Teutloff Photo und Video Collection, Bielefeld, 4:31 min.
Venus im Pelz, Peter Weibel (*1944), 2003, Teutloff Photo und Video Collection, Bielefeld, 4:31 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Venus im Pelz

Peter Weibel (*1944), 2003

  

Der in der Ukraine geborene Medienkunstpionier Peter Weibel führt klassisch gewordene Frauendarstellungen der Kunstgeschichte in einem Reigen auf, der mit Cranachs „Quellnymphe“ beginnt und unter anderem über Werke von Giorgione, Tizian und Manet zurück zu Cranach führt. Das Videomorphing zeigt die Zeitgebundenheit dieser allesamt von männlichen Künstlern entworfenen Vorstellungen von Weiblichkeit.

Die gleichnamige Novelle „Venus im Pelz“ aus dem Jahre 1870 von Leopold von Sacher-Masoch war eine der ersten Darstellungen von männlichen Unterwerfungsfantasien in der Liebe. Das Video entstand zeitnah zu der Wiederherausgabe des von Sacher-Masoch hinterlassenen Werkes und der von Weibel mitkuratierten Ausstellung „Phantom der Lust. Visionen des Masochismus in der Kunst“ in Graz 2003.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Classic Artificial Beauty, Micha Klein (*1964), 1998, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 0:12 min.
Classic Artificial Beauty, Micha Klein (*1964), 1998, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 0:12 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Classic Artificial Beauty

Micha Klein (*1964), 1998

   

Eine Morphing-Software ermöglicht dieses nahtlose Ineinanderfließen künstlicher Schönheiten. Die Arbeit ist ein frühes Beispiel für künstlerische Experimente an der Schnittstelle zwischen angewandtem Multimedia-Design und freier Kunst.

Micha Klein bekennt sich zu Clubkultur und insbesondere House als der wichtigsten Form von Spiritualität und kulturellem Ausdruck im 21. Jahrhundert. Der niederländische Künstler und VJ (Visual Jockey) arbeitet ebenfalls erfolgreich als kommerzieller Werbegrafiker.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Romeo & Julieta According to Romeo, Osvaldo Romberg (*1938), 2008, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 15:00 min.
Romeo & Julieta According to Romeo, Osvaldo Romberg (*1938), 2008, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 15:00 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Rome & Julieta According to Romeo

Osvaldo Romberg (*1938), 2008

  

Die Geschichte von Romeo und Julia wird in einer Videoanimation neu erzählt, in der das „Aus-der-Rolle-Fallen“ gewissermaßen Programm ist. Charlie Chaplin spielt Romeo, Romeo 2 und dessen Unterbewusstsein. Greta Garbo, Grace Kelly und Rita Hayworth verkörpern Julieta 1, 2 und 3. So entsteht ein Video über die geschlechtsspezifische Logik des Krieges mit zahlreichen humorvollen Aneignungen aus der Film- und Kunstgeschichte. Zum Schluss entscheiden sich Romeo und Julieta gegen den gemeinsamen Selbstmord und vereinigen sich laut Rombergs Neufassung des Stoffes zu einem einzigen hermaphroditischen Wesen.

Das Video ist Part eines dreiteiligen Filmprojektes von Romberg mit dem Titel „Theater of Transparency“. Der in Buenos Aires geborene Maler, Medien- und Konzeptkünstler Romberg ist derzeit auch Chefkurator an der Slought Foundation in Philadelphia.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

Barbed Hula, Sigalit Landau (*1969), 2000, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 2:00 min.
Barbed Hula, Sigalit Landau (*1969), 2000, Teutloff Photo + Video Collection, Bielefeld, 2:00 min.Klicken um Bild zu vergrößern

Barbed Hula

Sigalit Landau (*1969), 2000

  

Im Hintergrund das Mittelmeer südlich von Tel Aviv, zeigt das Video im Vordergrund einen weiblichen nackten Torso - den Oberkörper der israelischen Künstlerin Sigalit Landau, die mit einem Reifen aus Stacheldraht Hula-Hoop tanzt. Es ist der Stacheldraht, der in der schockierenden Performance ein harmloses Kinderspiel in ein schmerzhaftes und gefährliches Ritual verwandelt. Die Künstlerin verweist auf Grenzen als existentielles und zugleich existenzgefährdendes Thema menschlichen Zusammenlebens. „Der Meeresstrand ist die einzige ruhige und naturgegebene Grenze, die Israel hat“ (Sigalit Landau).

Weitere installative und bildhauerische Arbeiten Landaus, die als eine der bedeutendsten Vertreterinnen israelischer Gegenwartskunst gilt, beschäftigen sich ebenfalls mit Fragen von Land und Ressourcen sowie der Verletzlichkeit menschlichen Daseins.

Christiane Mennicke-Schwarz, Dresden

  

  

Salzburg Museum | Neue Residenz | 1. Obergeschoß

25. April 2013 bis 26. Jänner 2014

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